Welcher Winkel ist korrekt beim Messmikrofon?
Kennst Du diese Situation? Du kommst bei einem neuen Veranstaltungsort an, wirst freundlich von Deinem Auftraggeber begrüßt. Ihr werft einen Blick auf die Lautsprecher-Anlage, klärt Deine Anschluss-Möglichkeiten für Strom, Audio und Netzwerk. Und als Du dann so richtig loslegen willst und Dich schon abwendest zu Deinem Equipment-Koffer, kommt noch ein kleiner aber feiner Nachruf: „das ist übrigens Tom. Er steht Dir heute den ganze Tag zur Seite und kann Dich unterstützen!“ Yes, das fängt gut an!
Du zeigst ihm die Mess-Mikrofone, Stative und Kabel und skizzierst in etwa die Positionen im Saal, an denen er die Mikrofone für die erste Messung aufbauen kann. Das wird ihn sicher eine halbe Stunde beschäftigen, und Du kannst in der Zeit Deinen Laptop und Dein Interface aufbauen und den Zugang zum System vorbereiten. Eine halbe Stunde? Zu früh gefreut. 😀 Die erste Rückfrage kommt schon nach 5 Minuten!
„Wie soll ich die Mikrofone denn ausrichten? Zur Decke? Oder zum Lautsprecher? Oder ist es egal?“
Diese Frage kommt immer. Und das zu Recht! (Deshalb versuche ich inzwischen, die Antwort bereits bei der Einweisung zu geben..)
Hast Du Dir hierüber schon mal Gedanken gemacht? Wenn nicht, dann ist dieser Beitrag nun genau richtig. Und du kannst Deinem nächsten Assistenten voller Überzeugung eine Antwort geben!
„Ist es bei einer Kugel-Charakteristik nicht egal, wie man es ausrichtet, da es von allen Seiten gleich empfindlich ist?“
Für das ideale Mikrofon, genauergesagt den idealen Druck-Empfänger (im Gegensatz zum Druckgradienten-Empfänger), ist dies in der Theorie absolut korrekt. Und unsere heutige Technologie ist gar nicht so weit entfernt von diesem Ideal. Dennoch tritt in der Praxis eine kleine Abweichung auf.
Unser Hörbereich umfasst den Bereich von grob 20Hz bis 20kHz. Dies sind ganze 10 Oktaven! Der Bereich der entsprechenden Wellenlängen umfasst 17m (bei 20Hz) bis 1,7cm (bei 20kHz). Es ist ohnehin ein Wunder, dass dieser riesige Bereich von einem einzigen winzigen Mikrofon messbar ist.
Die Mikrofon-Hersteller bieten teilweise Diagramme an, anhand derer sich die Richtungsabhängigkeit ablesen lässt. Ich möchte Dir aber heute nicht die Diagramme erklären, die ich nicht selbst angefertigt habe und von denen wir beide nicht wissen, ob man ihnen trauen kann. Viel spannender und überzeugender finde ich es, wenn wir uns die Richtungsabhängigkeit in der Praxis anschauen, anhand der Anwendung, für die wir die Messmikrofone ja tatsächlich verwenden: zum Einmessen von Lautsprechern.
Damit sich die Erkenntnisse halbwegs verallgemeinern lassen, habe ich den Versuch nacheinander mit drei verschiedenen Mess-Mikrofonen durchgeführt:
iSEMcon EMX-7150 (Hersteller)
Falls Du ein anderes Messmikrofon besitzt, ist die Tendenz sicherlich ähnlich wie bei diesen drei. Nichtsdestotrotz kann ich Dich nur ermutigen, den Versuch selbst einmal durchzuführen in einer ruhigen Minute.
Der Versuchsaufbau
Es spielt eigentlich keine Rolle, welchen Lautsprecher Du verwendest. Da wir uns insbesondere die hohen Frequenzen anschauen wollen, sollte der Lautsprecher allerdings mindestens bis 10kHz spielen. Zudem sollten wir uns im Direktschallfeld des Lautsprechers befinden. Eine Messung in weiter Entfernung wird die Mikrofon-Eigenschaften, auf die wir heute schauen wollen, vermutlich nicht offenbaren, da in großer Entfernung neben dem Direktschall auch Diffusschall von allen Seiten auf das Mikrofon trifft. Eine Richtungsänderung des Mikrofons hätte dann geringere Auswirkungen als in kurzer Distanz.
Ich habe für die Messung den Studio-Monitor Kali Audio LP-6* verwendet. Als Abstand zwischen Mikrofon und Lautsprecher habe ich 75cm gewählt, um möglichst nur den Direktschall aufzunehmen und möglichst wenig Wand-/Deckenreflexionen. Die Rückwand hinter dem Lautsprecher ist bei mir zudem mit Breitband-Absorbern ausgestattet.
Der absolute Frequenzgang des Lautsprechers ist für unseren Versuch nicht relevant. Er kann ruhig ein paar dB Abweichungen haben. Wir interessieren uns nur für den Unterschied beim Verändern des Winkels.
Zuerst richten wir das Mikrofon direkt auf den Lautsprecher. Bei 2-Wege-Lautsprechern solltest Du darauf achten, dass sich das Mikrofon zwischen den beiden einzelnen Lautsprechern befindet, damit beide zeitgleich beim Mikrofon eintreffen.
Diese erste Kurve speichern wir ab mit dem Namen 0 Grad. Sie dient uns nun als Referenzkurve, mit der wir die folgenden Messungen vergleichen. Ich habe anschließend eine Messung für 45, 90 und 135 Grad durchgeführt und gespeichert. Das bloße Verändern des Winkels ist nicht ganz präzise, denn dadurch verändert sich sowohl die Höhe als auch der Abstand. Du solltest deshalb nach dem Einstellen des neuen Winkels immer die Höhe und den Abstand anpassen. Am einfachsten geht das ganze, indem Du Dir einen Bindfaden von der Decke hängst für die exakte Mikrofon-Position.
Die Ergebnisse
Da unsere Referenzkurve ja nicht unbedingt absolut gerade verläuft, empfiehlt es sich für die Frequenzkurve eine recht starke Glättung zu verwenden. Ich habe für meine Kurven eine Glättung von einer Oktave genommen, damit wir die Unterschiede zwischen den verschiedenen Messungen problemlos sehen können.
Ich möchte an dieser Stelle nochmal betonen, dass die Unebenheiten im Frequenzgang in erster Linie vom Lautsprecher kommen. Es geht bei diesem Versuch lediglich darum, die Unterschiede bei Veränderung des Winkels festzustellen, nicht jedoch um die Unebenheiten im Mikrofon-Frequenzgang generell zu bewerten. Dies werde ich in einem separaten Blog-Beitrag untersuchen.
Bei keinem der drei Mikrofonen gibt es unterhalb von 2kHz nennenswerte Unterschiede. Erst darüber macht sich die Richtwirkung bemerkbar. Bei 4kHz ist die Abweichung beim EMX-7150 nur 0.5dB, beim Behringer ECM8000 sind es 1.2dB bei 90 Grad und 1.4dB bei 135 Grad. Das MM1 liegt genau dazwischen.
Bei 8kHz bewegen sich die Unterschiede zwischen 0 Grad und 90 Grad zwischen 1.3dB beim EMX-7150 und 2.7dB beim ECM8000. Bei 10kHz wächst die Abweichung auf 3.3dB, bei 12kHz auf 4.0dB beim ECM8000, und beim EMX-7150 1.75dB bei 10kHz und 2.2dB bei 12kHz.
Macht es einen Unterschied?
Wenn Du am EQ drehst bei 10kHz, macht es für Dich einen Unterschied, ob du 3dB mehr oder weniger reindrehst? Ich wette meine Lieblings-CD, dass es Dir nicht egal ist, wenn ich an Deinen Lautsprechern einfach 3dB rausdrehe! 😁
Wie siehst es aus mit 2dB oder nur 1.5dB? Nun, hier wird es schon diffiziler, aber ich diskutiere regelmäßig mit Kollegen, ob wir nun 1 oder 2dB ändern sollen. Egal wird es den meisten Leuten erst bei 0.5dB.
Somit zunächst einmal die Erkenntnis: nicht jedes Mikrofon ist gleich empfindlich bezüglich der Winkel-Änderung. Das EMX-7150 ist hier am tolerantesten. Aber trotzdem hat ein Unterschied von 90 Grad bei allen Mikrofonen einen Einfluss auf die Messung und somit vermutlich auf den EQ, den Du anhand der Kurve einstellen wirst. Auch bei einem Kugel-Mikrofon sollte man also die Ausrichtung nicht willkürlich wählen, sondern (in der Regel) mit dem Mikrofon in Richtung des Lautsprechers zielen. Eine Abweichung von einigen Grad hat eine nur geringe Auswirkung, so dass wir bei einer Stereo-Aufstellung durchaus genau in die Mitte der beiden Lautsprecher zielen können.
Sollten wir eine Surround-Aufstellung messen und zwischen den Messungen nicht umbauen wollen, dann (und nur dann) würde ich eine Ausrichtung zur Decke empfehlen. Hierbei muss aber immer im Hinterkopf behalten werden, dass die Messergebnisse einen Abfall bei hohen Frequenzen zeigen werden. Einige Hersteller liefern ihren Mikrofonen sogar Korrektur-Dateien mit, die man in die Mess-Software einladen kann. Meine EMX-7150 haben beispielsweise Dateien für 0 Grad und 90 Grad auf einem USB-Stick für die Software Smaart. Falls man also sicher ist, dass man heute immer in einem Winkel von 90 Grad messen möchte, kann man diese Korrekturwerte laden und erhält dann wieder eine gerade Frequenzkurve.
Kompliziert wird es, wenn man tatsächlich auch Lautsprecher aus der Decke messen möchte, wie sie an vielen Theatern eingesetzt werden. Wenn man das Messmikrofon nicht für die verschiedenen Lautsprecher neu ausrichtet, muss man stets Aufpassen, dass man die Ergebnisse richtig deutet und sich erinnert, in welchem Winkel die Lautsprecher auf das Mikrofon treffen, und welche Korrekturwerte man möglicherweise am Morgen geladen hat.
Noch eine kleine Anmerkung: auch wenn die gebräuchlichen Messmikrofone eine Freifeld-Entzerrung haben (d.h. sie sind bei 0 Grad möglichst linear), so gibt es auch Kugel-Mikrofone mit Diffusfeld-Entzerrung (so z.B. auch das Beyerdynamic MM1 und meiner Ansicht nach das Behringer ECM8000, siehe dieser Blog-Artikel). Diese sind so eingestellt, dass sie im Diffusfeld, d.h. bei gleichmäßigem Schalleinfall von allen Seiten, einen linearen Frequenzgang erzielen. Dies äußert sich bei der Verwendung als Messmikrofon mit einer leichten Höhenanhebung bei 0 Grad.
Wie antworten wir nun auf die Frage unseres Assistenten?
Meine persönliche Präferenz lautet: die Messmikrofone immer in Richtung des Lautsprechers ausrichten. Dies führt bei 95% meiner Jobs zum Ziel, sowohl für die Hauptbeschallung als auch für die Delay-Lautsprecher. Und mit dieser Regel kann auch jeder Assistent den Aufbau der Messmikrofone übernehmen.
Bei Mikrofonen mit Diffusfeld-Entzerrung muss man dagegen überlegen, wie man in einer Freifeld-Situation (und meistens messen wir Lautsprecher im Freifeld d.h. Direktschallfeld) eine Kompensation schaffen kann gegen die Höhenanhebung. Am einfachsten ist es, entsprechende Korrektur-Werte in die Mess-Software zu laden und das Mikrofon dann wie ein freifeld-entzerrtes Mikrofon in Richtung des Lautsprechers zu verwenden.
Komplizierter wird es, wenn Deine Mess-Software keine Funktion anbietet zur Mikrofon-Korrektur. Dann kannst Du entweder bei jeder Frequenzgang-Messung versuchen 2-3dB in den Höhen gedanklich abzuziehen. Deine Zielkurve hat somit eine leichte Höhenanhebung.
Oder Du richtest Dein Messmikrofon nicht direkt auf den Lautsprecher, sondern neigst es etwa 50-60 Grad daran vorbei. Ein diffusfeld-entzerrtes Mikrofon hat in diesem Winkel meist einen recht linearen Frequenzgang vergleichbar mit einem freifeld-entzerrten Mikrofon. Zugegeben ist diese Methode nicht ganz trivial, insbesondere wenn Du bei jedem Job einen neuen Assistenten einweisen möchtest.
Ich hoffe, mein kleiner Versuch konnte Dich etwas sensibilisieren für die Ausrichtung Deines Messmikrofons. Letztlich wird Dir Dein Ohr natürlich mitteilen, wieviele Höhen Du gerne hören möchtest. Aber es kann nicht schaden, wenn die Messung des Frequenzgangs schon möglichst aussagekräftig ist.
* Affiliate-Link
Blog-Artikel: Der große Messmikrofon-Vergleich (Behringer ECM8000 vs iSEMcon EMX-7150)
Blog-Artikel: Mikrofon-Kalibrier-Dateien konvertieren für EASERA und SysTune